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Hyggelig kann vieles heißen

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von Felicitas Wilke.

Louise fährt in ihrem Wagen auf der Autobahn entlang, als das Telefon klingelt. Sie setzt sich das Headset auf. Oder steckt sich den Kopfhörer ins Ohr. Oder benutzt die Freisprechanlage. Ein Satz in der dänischen Sprache kann unzählige verschiedene Übersetzungen ins Deutsche mit sich bringen. Selten gibt es richtig und falsch, oft entscheiden Nuancen über die perfekte Übersetzung. Von Literaturübersetzern wie Marieke Heimburger ist daher viel Feingefühl gefordert.

Seit 17 Jahren lebt die Deutsche Marieke Heimburger in Dänemark und übersetzt dänische Literatur ins Deutsche. So auch den Krimi „De glemte piger“, zu Deutsch „Die vergessenen Mädchen“ von Sarah Blaedel. Auf dem Weltempfang der Buchmesse zeigt sie sich dem Publikum als gläserne Übersetzerin. Das heißt: Sie übersetzt live einen Abschnitt aus dem dänischen Buch und zeigt Schritt für Schritt, wie eine Übersetzerin bei der Arbeit vorgeht – und mit welchen Tücken sie manchmal zu kämpfen hat.

Hyggelig gilt als dänische Wort schlechthin. Es beschreibt in etwa alles Schöne, was es gibt auf der Welt, es ist nett, angenehm, gemütlich. Louise, die Figur aus dem Krimi, die gerade im Auto sitzt, hat ein unangenehmes Erlebnis hinter sich. Wenn sie das Erlebte nicht möglichst schnell vergisst, dann wird sie sich gleich alles andere als hyggelig verhalten, wenn sie ihre Freunde trifft. Heimburger grübelt kurz, auch die Zuschauer im Publikum diskutieren, wie die ideale Übersetzung lauten könnte. Schließlich legt sich Heimburger fest: Hyggelig in Gesellschaft – das ist am besten zu übersetzen mit gesellig.

Übersetzer wie Heimburger transferieren aber nicht nur einzelne Worte von einer Sprache in die andere – sie sind auch Botschafter zwischen zwei verschiedenen Kulturen. Ob kulinarischer Leckerbissen oder Besonderheit im politischen System – was im Heimatland der Autoren selbstverständlich ist, müssen Übersetzer für die Leser in anderen Ländern erklären: möglichst gut verständlich und trotzdem möglichst natürlich. Schließlich soll der Text später nicht wie eine Gebrauchsanweisung klingen. Das erfordert oft eine intensive Recherche fernab der konventionellen Wörterbücher – sei es in sprachhistorischen Schmökern oder in Slang-Lexika.

Louise unterhält sich mit Herrn Nordström. Man kennt sich nicht besonders gut, die Beziehung der beiden ist distanziert. Und trotzdem: Im dänischen Originaltext steht ein du. Der Grund: Im Dänischen existiert die Höflichkeitsform des Siezens de facto nicht. Ein heikler Fall für Übersetzer: Einerseits müssen sie dafür sorgen, dass die fremde Kultur in der deutschen Übersetzung nicht vollends untergeht. Andererseits könnte es bei deutschen Lesern jedoch Verwirrung stiften, wenn ein Schüler seine Lehrerin duzt und ein Banker seinen neuen Kunden. Von Fall zu Fall entscheiden Übersetzer dann, ob es beim Du bleibt oder nicht. So hat sich Marieke Heimburger für eine Lehrerin in einem Roman schon mal kurzerhand einen Nachnamen ausgedacht, um die dänische Kultur in den deutschen Kontext zu übersetzen.

Die Arbeit der Übersetzer ist für die Leser meist unsichtbar. Wird der Übersetzer gläsern, wie Marieke Heimburger auf der Buchmesse, dann wird deutlich: Übersetzer übersetzen nicht stur Wort für Wort. Sie verschaffen einem Text eine neue Identität. Dabei haben sie oft viel Spielraum, aber auch eine enorme Verantwortung.


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